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Fünfzehn Thesen zu Verständnis und Einordnung von BIM

In seinem Artikel beschreibt Dipl.-Ing. Christoph Eichler, BIM Operations Director, BEHF Architects anhand von 15 Thesen, was BIM ist, woher es kommt und welche Entwicklungen BIM seit seinem Einzug in die Bauwirtschaft durchlaufen hat. Der Artikel erschien 2015 in der Fachzeitschrift ‚Umrisse – Zeitschrift für Baukultur‘, Band 15.

 

 

ERSTENS

BIM – eine Abkürzung aus dem Englischen für den Ausdruck „Building Information Modelling“ – hat seit einigen Jahren Einzug in die Bauwirtschaft gehalten. „Information“  soll dem Anschein nach die Spezifik des Verfahrens kennzeichnen und den Bezug zum Zeitgeist herstellen: zum Informationszeitalter. Auf den ersten Blick sehen wir jedoch, dass uns dieser Verweis nicht wirklich weiter hilft, denn „Informationen“ haben keine eigenständige Bedeutung, sie werden erst in einem bestimmten Kontext für uns relevant, in unserer Sprache.

Meine These ist deshalb, dass es sich bei BIM im Wesen um eine neue Sprache der Bauwirtschaft handelt, die auf der menschlichen Sprache basiert. Sprache ist die kommunikative Seite unserer Vernunft, in ihr kommen alle Sinneswahrnehmungen an, sie ist die zentrale Analyseinstanz, gleichzeitig ist Sprache/Vernunft unsere zentrale Handlungssteuerung. BIM ist diese Sprache der Bauwirtschaft im 21. Jahrhunderts: zentrale Analyseinstanz und gleichzeitig Prozesssteuerung.
 

ZWEITENS

Wie die menschliche Sprache im Allgemeinen hat auch BIM historische Wurzeln. Menschen haben massive Gebäude errichtet, seit sie Werkzeuge nutzten. Diese Werkzeuge wurden nicht nur für den handwerklichen Prozess des Bauens benötigt, sondern auch für die Herstellung von Informationen. Ein wesentlicher Meilenstein war die Erfindung von Papyrus, dadurch wurde es möglich Planungsinformationen verhältnismäßig leicht zu erzeugen, zu verteilen und platzsparend aufzubewahren. Großvolumige Projekte, wie Pyramiden, waren so wesentlich leichter zu koordinieren.
 

DRITTENS

Ein weiterer Fortschritt erfolgte in der Renaissance durch die Entwicklung der Technik präziser räumlicher Darstellungen. Damit wurde die Konzeption von Formen und Räumen, Konstruktion von komplexen Tragwerken und Dokumentation von gebauter Substanz deutlich vorangebracht. Aber das Zeitalter der Universalgenies ging mit der arbeitsteiligen Industrie zu Ende.
 

VIERTENS

Die Anforderungen an Gebäude stieg währenddessen immerfort. Grund war eine ansteigende Bevölkerungsdichte in Städten, die erhöhte Anforderungen an Brandschutz, Stabilität und Qualität der Gebäude zur Folge hatte. Spätestens zu Beginn der Industriezeit kam es aufgrund dieser Anforderungskomplexität zu einer Teilung der klassischen Baumeistertätigkeit in die Arbeit des Architektur- und die des Ingenieurwesens. Es entstanden Fachplanungsdisziplinen für Gebäudetechnik, für Tragwerksplanung, Bauphysik, Brandschutz, Verkehrsplanung und viele mehr. All diese Disziplinen formulierten ihre Planung auf individuelle Weise. Eine Koordination in einem Projekt war aufwändig, da alle Informationen in unterschiedlichster Art und Weise vorlagen und eine Prüfung meist nur optisch und manuell vorgenommen werden könnte – dies ist außerordentlich unpräzise und eine große Fehlerquelle.
Auch mit der Einführung des CAD-Verfahrens wurde diese Vorgangsweise nicht wesentlich geändert, da nun zwar an Computern gezeichnet wurde, die Beschreibung von Gebäude jedoch nur mittels Linien, Kreisen und Schraffuren erfolgte – ein Gebäudemodell, dass alle Fachplanungen zusammenführte, war aber nicht möglich.

 

FÜNFTENS

Vor ca. 20 Jahren wurde mit der Entwicklung von BIM nicht nur eine neue Technologie zur Planung entwickelt, sondern tatsächlich eine neue gemeinsame Sprache welche von Menschen und Computern gleichermaßen verstanden werden kann. Die formale Zahlen-Sprache der Berechnung und die Formensprache des Architekten wurden zusammengeführt. Erst dadurch wurde es möglich Computer nennenswert als unterstützendes Werkzeug nutzen zu können und nicht nur als Zeichenhilfe. CAD ist ein Schritt aus der arbeitsteiligen Welt heraus, der aber noch mit der Arbeitsteilung behaftet ist. BIM ist der Schritt über die „Ausdifferenzierung“ hinaus, der erstmals ermöglicht relevante Aufgaben an Computer auszulagern – insbesondere die Prüfung von Gebäuden, die Erstellung von Plandokumenten aus Modellen, Energiebedarfsimulationen, Kalkulationen oder Flächen-/Mengen-/Massenauswertungen.
 

SECHSTENS

Grundlagen für diese Sprache wurde über internationale Standards bereits in einem groben Rahmen definiert, die Anwendung im zentraleuropäischen Raum benötigte jedoch eine deutliche Justierung und Präzisierung. Der dringend notwendige Prozess wurde jetzt in einem ersten großen Schritt durch einen österr. Standard erarbeitet, der ÖNORM A 6241 – dieser formuliert zunächst in einer einheitlichen Sprache, die definiert was, wann, wie von wem geliefert werden soll.

 

SIEBTENS

Damit ist erstmals ebenso für die Softwareindustrie eine umfangreiche Beschreibung der mitteleuropäischen Anforderungen verfügbar, die es ermöglicht spezifische Lösungen zu entwickeln. Bislang wurde im Bereich der Planungssoftware überwiegend mit Fokus auf die Anforderungen des US-amerikanischen Marktes entwickelt, dessen Anforderungen und Abläufe wesentliche Unterschiede zum Mitteleuropäischen aufweisen. Mittlerweile haben die Vertreter der führenden Softwareunternehmen im Planungsbereich angekündigt die beschriebenen Anforderungen in allen relevanten Produkten zu implementieren.
 

ACHTENS

Die grundsätzliche Systematik zur Beschreibung von Gebäuden mit BIM basiert auf der Verwendung zahlreichen verschiedenen Elementtypen, bspw. Wände, Decken, Stützen, Fenster, Türen und dergleichen. Diese beinhalten jeweils spezifische Merkmale, die zur Beschreibung nötig sind – im Falle einer Wand Informationen zu Höhe, Länge, Tiefe, Oberflächenbeschaffenheit usw.
Zusammengesetzt ergeben diese Elemente ein sogenanntes virtuelles Gebäudemodell – eine exakte Beschreibung des Vorhabens, was einmal errichtet und betrieben werden soll.

 

NEUNTENS

Ab einem gewissen Fortschritt der Planung werden weitere Planungsdisziplinen herangezogen, beispielsweise die Tragwerksplanung, Bauphysik oder Gebäudetechnik.
Diese arbeiten in ihren jeweiligen Teilmodellen, für die sie jeweils die Verantwortung tragen. Alle Teilmodelle werden auf Basis des virtuellen Gebäudemodells der Architektur koordiniert – es wird nun auch Architekturmodell genannt.  

Dieses Architekturmodell ist zentraler Informationsträger über den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes – also von der Planung, über die Errichtung und dem Betrieb bis zum Abriss.
Für die Beschreibung von Gebäuden werden zahlreiche Elementtypen benötigt, neben Decken, Stützen, Fenstern, Türen udgl. für die Architektur werden auch Elementtypen für die Gebäudetechnik und andere Planungsdisziplinen benötigt. Zum Koordinieren ist der Austausch von Informationen zwischen den Teilmodellen und dem Architekturmodell notwendig. Generell können ganze Modelle ausgetauscht und damit geprüft bzw. verglichen werden. Zum Austausch von Änderungen können jedoch auch nur einzelne Elemente bzw. deren Merkmale ausgetauscht werden – dies ermöglicht eine äußerst präzise Dokumentation der Veränderungen der gesamten Planung.

 

ZEHNTENS

BIM spielt in Zukunft jedoch auch für die Errichtung eine wesentliche Rolle. Zu dieser Phase des Projektes existiert neben dem virtuellen Gebäudemodell auch ein reelles Gebäude. Da es im Zuge einer Errichtung immer Abweichungen zum geplanten Stand geben wird, müssen diese im Modell – und natürlich auch allen weiteren Teilmodellen – nachgeführt werden. Daraus ergibt sich eine exakte Dokumentation des gebauten Standes die beim Betrieb – und erst recht bei der späteren Umnutzung – enorme Erleichterungen herführen wird. Bei der Demontage von Gebäuden kann – ähnlich wie es schon die Automobilindustrie praktiziert – genau ermittelt werden, welche Rohstoffe im Gebäude verbaut wurden und deren Recycling koordiniert werden. Zu Zeiten hoher Rohstoffpreise ist dieser Punkt nicht unwesentlich bei der Budgetierung.

 

ELFTENS

Parallel zu BIM haben sich in den letzten Jahren im konzeptionellen Bereich die parametrischen Werkzeuge etabliert und sind vielerorts kaum mehr weg zu denken.
Dabei werden mittels kleiner Programme – auch Skript genannt – dynamische Lösungen für bestimmte Anforderungen generiert um schnell zu qualitativen Varianten zu kommen. Dabei wird zwar ein Rahmen für die Planung generiert, dieser jedoch nicht vorgegriffen. Der Übergang von konzeptioneller Arbeit zur eigentlichen Planung verläuft fließend, d.h. neben dem eigentlichen Architekturmodell läuft oftmals auch ein konzeptionelles Modell – dieses hat jedoch andere Aufgaben und ist weniger detailliert, dafür stärker in Bewegung.
 

ZWÖLFTENS

Die Struktur digitaler Gebäudemodelle ist der Vorstellung eines Gebäudes in unserem Kopf sehr nahe, es ermöglicht eine sehr intuitive Orientierung in einer Vielzahl von Informationen zu einem Gebäude, daher ist diese Struktur auch prädestiniert alle, im eigentlichen Sinne planungsfernen, Informationen bspw. zur Verwaltung von Inventar, zur Gebäudewartung und -steuerung, zur Schließ- und Sicherheitstechnik usw. zu tragen. Darüber hinaus werden die derzeitigen Übertragungsverluste beim Austausch von Informationen zwischen Planungsbeteiligten oder beim Übergang von Errichtung zu Betrieb vermieden.
 

DREIZEHNTENS

Die Verfügbarkeit von Planungsdaten in derart strukturierter Form ermöglicht auch deren automatisierte Prüfung, jedoch nicht im Rahmen einer internen Qualitätssicherung, sondern auch unter dem Aspekt von elektronischen Genehmigungsverfahren. Dazu starten im Herbst diverse Pilotprojekte um die Vollständigkeit der Werkzeuge zur Beschreibung behördlicher Vorgaben zu prüfen bzw. weiter zu entwickeln. Die Verfügbarkeit und der Austausch dieser hochkomplexen Planungsdaten erfordert eine Kontrollinstanz, die kontinuierlich Qualität und Konformität gewährleistet – dafür hat sich ein neues Berufsbild herausgebildet: der sogenannte BIM-Koordinator. Diese Funktion wird künftig alle mittleren bis großen Projekte begleiten.

 

VIERZEHNTENS

Betrachten wir die derzeitige Entwicklung, wird deutlich dass für eine flächendeckende Einführung von BIM zwei Themen selten bis gar nicht aufgegriffen werden, obwohl diese für ein erfolgreiches Gelingen essentiell sind: die Ausbildung der Planerteams und die Gestaltung des Wandels. Ersteres erfordert Ausbildungslösungen, welche es auch Personen in Schlüsselpositionen ermöglicht, parallel zu ihren laufenden Projekten das nötige Wissen erwerben zu können. Auf dieser Ebene muss zu allererst ein fundiertes Verständnis geschaffen werden, was mit BIM möglich ist und was Andere im Team dafür wissen und später leisten müssen. Erst dadurch wird es möglich in ersten Pilotprojekten mit Projektteams nachhaltig Erfahrungen zu sammeln und diese in Folgeprojekte möglichst breit im Unternehmen zu verteilen. Es gilt auch zu berücksichtigen, dass in ersten Projekten selten ein vollständiges Planerteam komplett BIM-tauglich aufgestellt sein wird. Trotzdem macht es Sinn in einer solchen Konstellation mit BIM zu starten. Die Übergänge zwischen herkömllicher CAD-Planung und BIM werden weich verlaufen, das Wissen diese beiden Seiten optimal verbinden zu können, wird noch für einige Jahre enorm wichtig sein.

 

FÜNFZEHNTENS

BIM ist die Sprache der Bauwirtschaft im 21. Jahrhundert: zentrale Analyseinstanz, Kommunikation und gleichzeitig Prozesssteuerung. Diese geht auf den Kontext unserer menschlichen Sprache zurück, vermag die verschiedenen Fachsprachen zu integrieren, und wird auch unser künftiges Denken prägen: wir werden mit dieser Sprache lernen können und das computergestütztes Verfahren weiter präzisieren. Der Computer kann nur „rechnen“, im menschlichen Sinne lernen können nur wir Menschen. Das erfordert jedoch die heute verbreitete enge Spezialisierung zu überwinden. Die digitale Architektur erfordert wieder vielseitig gebildete Menschen, wie in der Renaissance. BIM ist eine Renaissance.


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