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„Das Pulverfass des schlechten Geschmacks“ – 7 Thesen von Robert Pfaller

Über die soziale Verantwortung einer allgemein zugänglichen ästhetischen Bildung

 

Robert Pfaller, österreichischer Philosoph
Robert Pfaller, österreichischer Philosoph

In Österreichs ländlichen Regionen kommt es seit einigen Jahren zu einer regen Bautätigkeit: Zahlreiche Neubauten von Ein- und Großfamilienhäusern entstehen neben umfassenden Adaptionen und Erweiterungen bestehender Gebäude.

 

„In der Regel werden gesichtslose Bauten mit rechteckigen Standardgrundrissen in die Landschaft gestellt, die man in grellen Neonfarben wie Leuchtgelb gestaltet oder – ein Erbe der Postmoderne – mit farblichen Ornamenten wie Streifen, Rauten oder komplexeren Überschneidungen farblicher Flächen detailverziert“, so Robert Pfaller

 

Dazu formulierte der österreichische Philosoph sieben Thesen:

 

  • Was hier entsteht, ist mehr als ein ästhetischer Schrecken. Hier sind hier gewaltige Enttäuschungen im Heranwachsen begriffen – und damit verbunden ein erheblicher Sprengstoff für die Gesellschaft als Ganze. Denn es handelt sich nicht mehr, wie noch bis vor kurzem, um die Trostlosigkeit nüchterner Zweckbauten industrialisierter Landwirtschaft. Was hier neu entsteht, ist etwas liebevoll Gestaltetes – aber mit der sehr wahrscheinlichen Aussicht, dass diese Liebe enttäuscht werden wird.

 

  • Denn der schlechte Geschmack ist nicht einer, dem etwas anderes Freude macht als dem guten Geschmack. Vielmehr gefällt und missfällt dem schlechten Geschmack genau dasselbe wie dem guten Geschmack – nur mit etwas zeitlichem Abstand.

 

  • Wie Adolf Loos bemerkte, lässt das Ornament Gebäude ästhetisch verfallen noch bevor sie materiell verfallen. Wir müssen uns also darauf gefasst machen, auf dem Land mehrheitlich Architekturen anzutreffen, die physisch noch intakt (und ökonomisch vielleicht noch nicht einmal abbezahlt), ästhetisch aber bereits Ruinen sind.

 

  • Sich mit dem eigenen Geschmack uneins fühlen zu müssen bzw. sich für ihn zu schämen erzeugt Zorn und Hass auf andere. Im Wahlverhalten der Bevölkerungen westlicher Länder zeichnet sich dieser Riss zunehmend ab: Er verläuft (nach der Terminologie von David Goodheart) zwischen ländlichen oder suburbanen „Somewheres“, die z. B. durch Hausbesitz und Beruf an einen bestimmten Ort gebunden sind, und den urbanen „Anywheres“, die mangels Eigenheimbesitz sowie dank ihrer Vielsprachigkeit und guter Ausbildung in vielen Metropolen gleichermaßen Arbeit und Existenz finden können.

 

  • Auch im Wahlverhalten zeigt sich, dass die „politischen Geschmäcker“ nicht einfach nur verschieden sind. Denn die Anywheres wählen, was ihnen gefällt. Die Somewheres dagegen wählen (nach der These des Soziologen Thomas Frank) das, wovon sie glauben, dass es die Anywheres ärgert. Es gibt somit einen politischen wie einen ästhetischen „Trotzgeschmack“.

 

  • Die derzeit im Entstehen begriffene Architektur ist geeignet, diesen gesellschaftlichen Riss zu vertiefen und zu verstetigen.

 

  • Darum ist es eine dringende soziale wie kulturelle Aufgabe, ästhetische Bildung für breitere Bevölkerungsgruppen zugänglich zu machen. Um es mit dem Philosophen Günther Anders zu sagen: Der beträchtlichen Fähigkeit materiellen architektonischen Herstellens muss eine ebenbürtige ästhetische Fähigkeit architektonischen Vorstellens und Gestaltens an die Seite gestellt werden.

 

Sie wollen mehr erfahren? In seiner Keynote „Das Pulverfass des schlechten Geschmacks“ beim 12. Kongress der IG LEBENSZYKLUS BAU am 15. November diskutiert Robert Pfaller, wieso diese Entwicklungen eine Menge an sozialem Sprengstoff erzeugen können. 


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